Elektrosensible Frau wehrt sich vor Gericht

Leserbrief vom 08.03.25 im Weilheimer Tagblatt, von Florian Zerhoch

In der Grundschule Böbing soll die Ganztagsbetreuung erweitert werden. Die Gemeinde will deshalb zwei Wohnungen dort umfunktionieren. Doch Sabine Mühlbauer wehrt sich gegen die Kündigung: Sie sei elektrosensibel und könne nirgendwo anders wohnen. Der Fall wurde jetzt am Amtsgericht Weilheim verhandelt.


Böbing – Fast 30 Jahre wohnt Sa­bi­ne Mühl­bau­er be­reits im Erd­ge­schoss des alten Schul­ge­bäu­des, als vor zwei Jah­ren plötz­lich die Kün­di­gung des Miet­ver­tra­ges im Brief­kas­ten steckt: Ihr Zu­hau­se soll einer Er­wei­te­rung der Ganz­tags­be­treu­ung wei­chen. Für die 62-Jäh­ri­ge ein „Schock“.

Ab 2026 wird die Nach­fra­ge nach Be­treu­ungs­plät­zen in der Ganz­tags­schu­le stei­gen, schlie­ß­lich gilt ab kom­men­dem Jahr ein bun­des­wei­ter Rechts­an­spruch. Für die Ver­wal­tung stand fest: Die be­stehen­den Räum­lich­kei­ten rei­chen nicht aus. Die Lö­sung: Die Miet­woh­nun­gen im alten Schul­haus sol­len es sein. Wäh­rend eine der bei­den Miet­par­tei­en be­reits aus­ge­zo­gen ist, wei­gert sich Sa­bi­ne Mühl­bau­er, ihrer lang­jäh­ri­ge Blei­be den Rü­cken zu keh­ren. Die 62-Jäh­ri­ge be­grün­det ihre Ent­schei­dung mit einem un­ge­wöhn­li­chen Lei­den

In­fol­ge eines Ze­cken­bis­ses hatte sich die Böbin­ge­rin nach ei­ge­nen Aus­sa­gen vor 20 Jah­ren mit Bor­re­lio­se in­fi­ziert. Noch heute kämpft sie mit den Fol­gen der Krank­heit: „Seit­dem bin ich elek­tro­sen­si­bel“, sagt Mühl­bau­er, die sich mitt­ler­wei­le dem Kampf gegen die Strah­lung ver­schrie­ben hat (siehe Kas­ten). Für einen skur­ri­len Ein­zel­fall hält sich die 62-Jäh­ri­ge aber nicht. Die Exis­tenz der Krank­heit sei nur nicht allen Men­schen be­kannt, die an den Sym­pto­men lei­den.

Ihre Woh­nung hat die Böbin­ge­rin mitt­ler­wei­le kom­plett auf ihre un­ge­wöhn­li­chen Le­bens­um­stän­de an­ge­passt. Selbst im an­gren­zen­den Se­kre­ta­ri­at der Schu­le nehme man Rück­sicht auf die strah­lungs­emp­find­li­che Nach­ba­rin und stel­le nach dem Ar­beits­tag elek­tro­ni­sche Ge­rä­te ab, sagt Mühl­bau­er. Ruhig schla­fen könne sie aber nur unter einem „Strah­len­schutz-Bal­da­chin“. Sie ver­mu­tet, in jeder an­de­ren Woh­nung den elek­tri­schen Fel­dern be­nach­bar­ter Haus­hal­te aus­ge­setzt zu sein und fürch­tet, im Falle ihres Aus­zugs im Auto schla­fen oder gleich in den Wald zie­hen zu müs­sen.

Geht es nach der 62-Jäh­ri­gen, dann hat die Ge­mein­de genug an­de­re Op­tio­nen, wo sie die Ganz­tags­be­treu­ung un­ter­brin­gen könn­te: etwa im Pro­be­raum der Blas­ka­pel­le. Doch Böbings Bür­ger­meis­ter Peter Er­hard hält da­ge­gen. Die Mu­si­ker hät­ten um die Jahr­tau­send­wen­de tat­kräf­tig mit­ge­hol­fen, den Raum zu ge­stal­ten. An bei­na­he allen Wo­chen­ta­gen sei der Saal be­legt – meist ab 14 Uhr. Zudem stün­den über­all In­stru­men­te herum. „Es gibt keine an­de­ren Räume für die Blas­ka­pel­le“, stellt Er­hard vor dem Weil­hei­mer Amts­ge­richt klar. Mitt­ler­wei­le ist der Kon­flikt zu einem be­acht­li­chen Rechts­streit mit Räu­mungs­kla­ge an­ge­wach­sen. Sa­bi­ne Mühl­bau­er droht der Raus­wurf.

Be­woh­ne­rin liegt Räu­mungs­kla­ge vor

Dem Ar­gu­ment der Böbin­ge­rin, ei­ni­ge Klas­sen­zim­mer stün­den nach Mit­tag leer und könn­ten von der Ganz­tags­be­treu­ung ge­nutzt wer­den, bie­tet die Ge­gen­sei­te eben­falls Con­tra. Das möge sein, al­lein auf­grund des vie­len Ma­te­ri­als seien aber weder die Klas­sen­zim­mer noch an­de­re Räume im neuen Schul­haus ge­eig­net für die Ganz­tags­be­treu­ung. Die Bü­che­rei vom Schul­ge­bäu­de in das be­nach­bar­te und von Ver­ei­nen ge­nutz­te Schei­ber­haus um­zu­sie­deln und den so ge­schaf­fe­nen Platz für die Ganz­tags­be­treu­ung zu nut­zen, kommt für die Ge­mein­de eben­falls nicht in­fra­ge.

Mühl­bau­er hat in­des­sen große Zwei­fel, dass in Zu­kunft deut­lich mehr Fa­mi­li­en das Be­treu­ungs­an­ge­bot in An­spruch neh­men wer­den. Wäh­rend Er­hard er­klärt, dass es an­statt der 30 bis 40 Kin­der, die täg­lich in der Ein­rich­tung ge­mel­det sind, bald bis zu 50 sein könn­ten, ist die 62-Jäh­ri­ge an­de­rer Mei­nung: Die de­mo­gra­fi­sche Ent­wick­lung deute auf einen Rück­gang der Kin­der­zah­len hin.

„Gibt es denn eine Al­ter­na­tiv­woh­nung in der Ge­mein­de?“, woll­te Rich­te­rin Katja Stei­gel­mann wis­sen. „Ja, man muss nur mit uns reden“, ent­geg­ne­te der Böbin­ger Rat­haus­chef. Zwei Eta­gen über Sa­bi­ne Mühl­bau­ers Woh­nung be­fand sich bis zu­letzt eine wei­te­re Miet­woh­nung. Ei­gent­lich soll sie künf­tig Ganz­tags-Kin­dern mit In­te­gra­ti­ons­be­darf zur Ver­fü­gung ste­hen. Er­hard sieht je­doch die Mög­lich­keit, um­zu­dis­po­nie­ren und die Ober­ge­schoss­woh­nung, die noch sa­niert wer­den muss, Mühl­bau­er zu­zu­spre­chen. Das werfe das ge­meind­li­che Kon­zept zwar etwas durch­ein­an­der, sei aber denk­bar, er­klärt er.

Ein Vor­schlag, der für Op­ti­mis­mus sorgt. In tro­cke­nen Tü­chern ist die Sache aber noch nicht: Dass sie in dem etwas höher ge­le­ge­nen Apart­ment keine ge­sund­heit­li­chen Pro­ble­me haben wird, kann Sa­bi­ne Mühl­bau­er nicht ver­spre­chen. Sor­gen be­rei­ten ihr so­wohl die Pho­to­vol­ta­ik­an­la­ge auf dem Dach als auch die Strah­len von den Funk­tür­men auf dem Hohen Pei­ßen­berg und dem Schnaid­berg. Letz­te­re er­rei­chen sie im zwei­ten Stock­werk deut­lich leich­ter als in ihrer „Oase“ im Erd­ge­schoss, ver­mu­tet die Böbin­ge­rin. Sie ver­si­chert aber, es zu­min­dest ver­su­chen zu wol­len, und hat sich nun für eine „Test­wo­che“ im März be­reit er­klärt.

Elek­tro­sen­si­bi­li­tät: Wis­sen­schaft ist skep­tisch

In Wis­sen­schafts­krei­sen herrscht bis heute Un­ei­nig­keit über die Exis­tenz von Elek­tro­sen­si­bi­li­tät. Wie das Bun­des­amt für Strah­len­schutz auf sei­ner In­ter­net­sei­te schreibt, be­zeich­net sich etwa ein Pro­zent der deut­schen Be­völ­ke­rung als elek­tro­sen­si­bel. Be­trof­fe­ne füh­ren Sym­pto­me wie Kopf­schmer­zen, Herz­ra­sen oder Übel­keit auf elek­tri­sche, ma­gne­ti­sche oder elek­tro­ma­gne­ti­sche Strah­lung in ihrer Um­ge­bung zu­rück. Bis­lang sei es je­doch „nicht ge­lun­gen, Zu­sam­men­hän­ge wis­sen­schaft­lich fun­diert nach­zu­wei­sen“, so das Bun­des­amt. Wäh­rend sich die Be­trof­fe­nen schnell in eine Ecke ge­drängt oder miss­ver­stan­den füh­len, er­klärt sich die Mehr­heit der For­scher das Phä­no­men ent­we­der mit psy­chi­schen Er­kran­kun­gen oder dem „No­ce­bo-Ef­fekt“ – dem Ge­gen­teil des Pla­ce­bo-Ef­fekts. Dem­nach rufe be­reits das Wis­sen über die An­we­sen­heit von elek­tri­schen Fel­dern bei Be­trof­fe­nen die be­sag­ten Sym­pto­me her­vor.