Sehr geehrter Herr Schulz, vielen Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 28.06.2021. In Ihrer Nachricht verweisen Sie unter anderem auf das Informationszentrum Mobilfunk, welches von Ihnen und Telekommunikationsunternehmen unterstützt wird. Entgegen seiner Behauptung, einen Beitrag zur Transparenz und sachlichen Aufklärung zu leisten, bagatellisiert dieses Informationszentrum Gesundheitsrisiken und bewiesene biologische Effekte. Kurzum: es vertritt eine industriefreundliche Haltung, die mit den Ergebnissen einer selektiven Studienauswahl untermauert wird. Es ist genau diese Selektivität, die wir beim Bundesamt für Strahlenschutz und der ICNIRP monieren. Ihre Argumente und der Verweis auf Informationsbroschüren hinterlassen bei uns den Eindruck, Sie würden sich aus der Affäre ziehen und Ihre Verantwortung als Unternehmen abgeben. Diese haben Sie jedoch in ganz besonderer Weise gegenüber den Verbrauchern Ihrer Produkte und Dienstleistungen. Unsere einzelnen Fragen haben Sie bedauerlicherweise nicht eingehend beantwortet. Wir bitten dies im Detail noch nachzuholen, denn Ihre Fragen-bezogenen Antworten sind für uns von großer Relevanz.
Wir stellen fest, dass die Bunderegierung mit ihren gesetzlichen Vorgaben die Bevölkerung nicht ausreichend schützt. Es liegt demnach in der gesellschaftlichen und moralisch-ethischen Verantwortung der Mobilfunkfirmen, unabhängig von den Gesetzesvorgaben eigene Wege zu gehen und die Gesundheitsbelastung der Bevölkerung durch Mobilfunk-Hochfrequenz-Emissionen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.
Wir zeigen auf: Die Grenzwerte richten sich nahezu ausschließlich an den Interessen der Industrie aus, schützen jedoch nicht die Gesundheit von Lebewesen. Wir übersenden Ihnen einige Fakten mit der Bitte, diese eigenständig und objektiv auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Eine zentrale Frage ist: Wie stehen Sie zu Ihrer Verantwortung gegenüber Mensch und Natur?
Vorab: Mit 5G wird die Strahlungsdichte und -belastung defacto zunehmen, sukzessive mit immer höheren Frequenzen, die in ihrer Langzeitwirkung bisher nicht erforscht sind. Dies bestätigt der achte Mobilfunkbericht der Bundesregierung1. Es gibt bei Strahlung, die stochastisch wirkt, keine untere Einwirkungsschwelle, von der man sicher sagen könnte, dass sie unschädlich sei, das ist Lehrmeinung (Adlkofer/Lutz 2007). Auch die EU-Expertise von Blackman/Forge (2019)2 führt ausdrücklich aus, dass die Wirkung der 5G-Strahlung noch nicht erforscht ist. Weitere Studien: www.EMFData.org.
In Deutschland regelt die 26. BImSchV (Bundesimmissionsschutz Verordnung) die Grenzwerte für die Mobilfunkstrahlung. Diese Verordnung orientiert sich an den Richtlinien der ICNIRP. Wie arbeitet diese Kommission? Vereinfacht ausgedrückt: Eine mit simulierter Hirnflüssigkeit gefüllte Plastikpuppe (SAM)3 wird einer 6-, 10- oder 30-minütigen Strahlen-Exposition in einer ansonsten vollständig strahlungsfreien Umgebung ausgesetzt. Anschließend werden akute Erwärmungseffekte berechnet und ein Grenzwert für den Schutz des Menschen ermittelt. Das dürfte Ihnen bekannt sein.
Die zuständige Fachbehörde zur Einhaltung der Grenzwerte ist das BfS. Dieses übernimmt weitestgehend die Einschätzungen und Empfehlungen der ICNIRP. Doch kommt das BfS mittlerweile seinem Schutzauftrag nicht mehr nach, wie die Verbraucherorganisation diagnose:funk4 sehr gut dargestellt hat. ICNIRP ist ein privater Verein, weder demokratisch legitimiert noch irgend jemandem Rechenschaft schuldig. Andere Positionen als die des thermischen Dogmas (Erwärmungseffekt als einzig akzeptierte Wirkung) werden nicht geduldet. ICNIRP ist ein „closed Club“, wie Investigate Europe5 herausgearbeitet hat. Auf Wikipedia steht dazu: „Die Zusammensetzung der Kommission ist weder demokratisch, noch durch wissenschaftliche Eignung begründet.
Die EU-Abgeordneten Klaus Buchner und Michèle Rivasi kommen in ihrem neuesten Report6 über die ICNIRP (siehe PDF im Anhang) zu dem Schluss: "Die Ergebnisse dieser Untersuchung lösen in uns ein unbehagliches Déjà-vu-Gefühl aus: Die Europäischen Behörden - angefangen von der Europäischen Kommission bis hin zu den meisten Mitgliedsstaaten - verschließen einfach ihre Augen vor den realen wissenschaftlichen Fakten und Frühwarnsignalen. Genau dasselbe Szenario haben wir bereits in den Debatten über Tabak, Asbest, Klimawandel und Pestizide erlebt ... Die ICNIRP gibt vor, dass es sich bei ihren Mitgliedern um unabhängige Wissenschaftler handelt, die frei von den eigennützigen Interessen der Telekommunikationsindustrie agieren. Mit diesem Bericht zeigen wir, dass die ICNIRP diesbezüglich mit der Wahrheit spielt oder diese Aussage schlichtweg gelogen ist."
Bereits 1998 gab die ICNIRP ihre 'Richtlinien für die Begrenzung der Exposition durch zeitlich veränderliche elektrische, magnetische und elektro-magnetische Felder (bis 300 GHz)' heraus. Diese gelten noch heute weltweit, wenn auch nicht überall. Vor deren Einführung in Neuseeland wurde Dr. Neil Cherry von der Regierung beauftragt, die Richtlinien zu begutachten und die Grenzwertempfehlung der ICNIRP zu überprüfen. Sein Fazit: “Die ICNIRP-Richtlinie ist fehlerhaft und gesetzeswidrig. Sie enthält ein Muster von Voreingenommenheiten, Weglassungen und absichtlichen Verdrehungen.” (siehe Anhang 2)
Ein weiteres Beispiel für das Versagen der ICNIRP: Prof. Jürgen Bernhardt, ehemaliges Mitglied der ICNIRP, erwiderte 1997 in einer 3sat-Sendung ('Risiko Elektrosmog') auf die Frage nach den Grenzwerten: “Zweifelsfrei verstanden haben wir bei den hochfrequenten Feldern nur die thermische Wirkung, und nur auf dieser Basis können wir derzeit Grenzwerte festlegen. Es gibt darüber hinaus Hinweise auf krebsfördernde Wirkungen und Störungen an der Zellmembran“. Auf die Frage des Journalisten, warum man die Grenzwerte ohne ausreichendes Wissen um die biologische Gefährlichkeit festlege und warum man diese nicht bereits bei geringsten Hinweisen auf eine Gefahr vorsorglich senke, antwortete er: „Wenn man die Grenzwerte reduziert, dann macht man die Wirtschaft kaputt, dann wird der Standort Deutschland gefährdet."
Selbst diese sich fatalerweise ausschließlich an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichtende These stellen wir infrage, denn andere Länder (z.B. China, Russland, die Schweiz, Belgien, Polen, Italien) haben wesentlich niedrigere Grenzwerte und deren Wirtschaft floriert trotzdem. Wenn jedoch Menschen und kommende Generationen geschädigt werden, dann beschädigt dies die gesamtgesellschaftliche Arbeitskraft und damit auch die Wirtschaft.
Die heutigen Grenzwerte schützen wie bereits gesagt nur vor einem einzigen Effekt: dem der Erwärmung. Die schädigenden biologischen Effekte entstehen aber durchweg im nicht-thermischen Bereich, sind also nicht durch Temperaturerhöhungen erklärbar. Dass die Grenzwerte die nicht-thermischen Effekte der Mobilfunkstrahlung und damit die Biologie ausklammern, zeigt ihre Absurdität. Wissenschaftler reklamieren: Um biologische Schäden zu bewerten, sind physikalische Absorptionsparameter nicht maßgebend.
Die Grenzwerte beschreiben nur Mittelwerte, wobei die Spitzenwerte, gerade bei 5G mit dem Beam-forming, punktuell auch höher liegen können. Aber was benötigen wir wirklich? Zur Orientierung:
Den Grenzwert für UMTS hat die ICNIRP auf 10.000.000 µWatt/m² (61 V/m) festgelegt.
Der BUND fordert einen Grenzwert von 100 µWatt/m² zur Gefahrenabwehr (einklagbarer Schutzstandard) und 1 µWatt/m² als Vorsorgewert.
Die natürliche Hintergrundstrahlung, auf die biologische Organismen zum Erhalt ihrer Lebensfunktionen angewiesen sind, liegt bei ca. 0,000001 µW / m² (Neitzke).
Bei 0,001 µW / m² ist die optimale Funktion eines Handys und von WLAN gewährleistet! (mit voller Balkenanzeige, siehe angehängte Tabelle)
„Bei der Ableitung der geltenden Grenzwerte, die die Grundlage der Standortbescheinigung bilden, hat das Vorsorgeprinzip keine Berücksichtigung gefunden.“ (Deutsche Bundesregierung, Bundesdrucksache 14/7958, S.14 und 18)
Darüber hinaus agiert ein selbstreferenzielles System aus Organisationen auf Staaten-, EU-und WHO-Ebene, deren Mitglieder in großer Zahl deckungsgleich sind mit denen der ICNIRP, wie das international renommierte Portal MICROWAVENEWS7 erneut dargelegt hat. In einer Studie dazu weist Sarah Starkey 20178 beispielhaft an der inzwischen aufgelösten Beratergruppe AGNIR – einer englischen Variante der deutschen Strahlenschutzkommission – detailliert nach, wie dieses selbstreferenzielle System aufgebaut ist und wie voreingenommen, fehlerhaft und verfälschend es arbeitet. Drei zentrale Bausteine des organisierten Wissenschaftsbetrugs seien:
Selektion: Studien, die Gesundheitsrisiken nachweisen und nicht in Vermarktungskonzepte passen, werden als schlecht gemacht abgewertet, wohingegen auf Studien, die keine schädigenden Effekte nachweisen, Bezug genommen wird. Es ist leider gang und gäbe, dass zu jeder kritischen Studie sofort von der Mobilfunkindustrie finanzierte Gegenstudien in Auftrag gegeben werden.
Auslassungen: Studien, die nicht in das Vermarktungskonzept passen, werden in den Gesamtbeurteilungen der ICNIRP einfach weggelassen oder man teilt nur einen genehmen Teil der Studienergebnisse mit.
Mit dem Betrug durch Sprache wird die Studienlage verschleiert. Eindeutigkeiten werden relativiert, Zweifel gesät, Nebenpunkte aufgebauscht, Risiken wegdiskutiert, sodass das Fazit immer wieder lautet: „Die Datenlage sei widersprüchlich und unzureichend.“
Es geht hier leider nicht um eine ernsthafte, sachliche wissenschaftliche Auseinandersetzung und die daraus zu ziehenden politischen Schlüsse im Sinne des in Europa verankerten Vorsorgeprinzips, sondern schlicht um Produktschutz.
Die Bürger zu verwirren und im Unklaren zu lassen, ist das eine. Aber der eigentliche Adressat dieses organisierten Verharmlosens, Anzweifelns und Ignorierens ist die Politik. Ziel ist es, die Politik von vorsorglichen Entscheidungen, einer aktiven Gesundheitsvorsorge und einer grundlegenden Veränderung der regulatorischen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel der notwendingen, massiven Grenzwertesenkung, abzuhalten. Für eine rechtsstaatliche Demokratie ist es skandalös, wie sehr die zuständigen Behörden ein fester Bestandteil dieser Taktik der Verharmlosung und Vorsorgevermeidung sind. -
Mittlerweile weisen immer mehr Studien9 nach, dass Mobilfunkstrahlung Krebswachstum fördern oder gar Krebs auslösen kann (ATHEM Report 2012 und 2016, sowie die NTP-Studie 2016). In der Datenbank der Bundesregierung (EMF-Portal) stehen 28.754 Studien, davon 1.594 zu Mobilfunk. Von den zuletzt genannten zeigen mindestens 800 biologische Effekte!
Der bisher wohl umfangreichste Review weist nach: Elektromagnetische Felder, auch in den Frequenzen des Mobilfunks, schädigen die Zellen durch oxidativen Zellstress. Er wurde von der Schweizer Regierung finanziert und an der Universität Bern erstellt. Dieser am 06.04.2021 veröffentlichte Review von Dr. David Schürmann und Prof. Dr. Meike Mevissen10, finanziert vom Schweizer Umweltbundesamt und publiziert im "International Journal of Molecular Science", schafft Klarheit durch die umfassende Aufarbeitung der bereits vorliegenden Literatur:
"In dieser Übersicht fassen wir die wichtigsten experimentellen Ergebnisse zu oxidativem Stress im Zusammenhang mit EMF-Exposition aus Tier- und Zellstudien des letzten Jahrzehnts zusammen. Die Beobachtungen werden im Kontext der molekularen Mechanismen und gesundheitsrelevanten Funktionen wie neurologische Funktion, Genomstabilität, Immunantwort und Reproduktion diskutiert. Die meisten Tier- und viele Zellstudien zeigten erhöhten oxidativen Stress, verursacht durch RF-EMF und ELF-MF."
Sehr geehrte Damen und Herren, wir erwarten aufrichtige, detaillierte Antworten auf unsere Darlegungen. Wir werden diese veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen,
i. A. Michaela Thiele
Koordination
Bündnis Verantwortungsvoller Mobilfunk Deutschland
web: www.bvmde.org
mail: info@bvmde.org
phone: 05692 3069954

Fußnoten:
1 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/062/1906270.pdf
2 https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2019/631060/IPOL_IDA(2019)631060_EN.pdf
3 http://strahlungskartell.de/wp-content/uploads/2016/04/MIC-D-Expositionsgrenzwerte-Untersch%C3%A4tzung.pdf
4 https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail?newsid=1566
5 https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail&newsid=1335 und https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/mobilfunk-wie-gesundheitsschaedlich-ist-5g-wirklich/23852384-all.html
6 https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail?newsid=1702
7 https://microwavenews.com/news-center/can-who-kick-icnirp-habit
8 https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/reveh-2016-0060/html
9 https://www.diagnose-funk.org/ratgeber/mobilfunk-5g-risiken-alternativen/mobilfunk-auseinandersetzung-um-die-risiken/die-studienlage
10 https://bvmde.net/wp-content/uploads/2021/04/ijms-22-03772.pdf